Baugeschichte, Bauherr, Besitzer

Schloss im Rohbau

Wie jeder Haustyp haben Burgen und Schlösser im Laufe der Jahrhunderte neue Funktionen bekommen. Harald Herzog beschreibt verschiedene rheinische Schlossneubauten des 19. Jahrhunderts und erläutert, wie viele ehemalige Wehranlagen zu repräsentativen Familiensitzen umgestaltet wurden [1].

Schloss Birlinghoven wurde zwar in den Jahren 1901 bis 1903 oberhalb der alten Burg Birlinghoven gebaut, setzt jedoch deren Geschichte als Wehranlage und Sitz bodenständiger Adelsgeschlechter nicht fort, sondern beginnt am Anfang des 20. Jahrhunderts ein neues Kapitel. Ein sofort ins Auge springender Unterschied ist die Lage der alten Wasserburg im Pleistal und des neuen Schlosses auf dem Höhenrücken. Ein bemerkenswerter Einschnitt ist auch der Übergang des Besitzes von alteingesessenen Adelsfamilien auf den Kölner (Verdienst-) Adel.

Auch baugeschichtlich ist Schloss Birlinghoven Teil des Wandels. Während viele Umbauten von Adelssitzen die Funktion als Familiensitz unangetastet ließen und im Rheintal viele alte Höhenburgen als eine Art mittelalterliche Theaterkulisse einen zweiten Frühling erlebten, gehört Schloss Birlinghoven zu den bürgerlichen Repräsentationsbauten.

Einen Teil dieser Strömungen erklärt die Romantisierungswelle des 19. Jahrhunderts, die gerade im Rheinland vom 1842 - nach fast 300jähriger Unterbrechung - wiederbegonnenen Dombau in Köln angestachelt wurde. Eine weitere Erklärung liefert die immer stärker werdende Bedeutung des Bürgertums, das sich im Kaiserreich gesellschaftlich noch stark am Adel orientierte. Wie ihre Vorbilder schufen sich wohlhabende Bürger mit entsprechenden Repräsentations- und Selbstdarstellungsbedürfnissen herrschaftliche Anlagen.

Schloss Birlinghoven als einer der jüngsten Neubauten war zunächst vor allem wohl ein solches Statussymbol, insbesondere nach dem ersten Weltkrieg machte es der automobile Fortschritt aber möglich, Plätze wie Schloss Birlinghoven als ständigen Wohnsitz für berufstätige Kölner (so würde man heute sagen) zu nutzen. Von den vielen Motiven für den Bau bzw. Kauf des Schlosses ist dieses auch heute noch für jeden Besucher nachvollziehbar: Hier zu wohnen, wäre wunderbar.

Bauherr

Bauherr von Schloss Birlinghoven war Theodor Damian Rautenstrauch aus Köln, der den zur alten Burg gehörenden Besitz im Jahre 1900 für 235.000 Mark von den Erben Klostermann kaufte. Er ließ das Schloss nach Plänen des Kölner Architekten Edwin Crones in der Art eines englischen Landsitzes bzw. Barockschlosses errichten. Die roten Steine, die am Schloss verwendet wurden, kamen per Schiff und Bahn extra aus England und wurden die letzten Kilometer mit Pferdefuhrwerken herangeschafft (für die später errichtete und 1921 geweihte Kapelle wurden allerdings Ziegel der Brennerei in Birlinghoven verwendet, die sich kaum von den Englischen unterscheiden).

Die Familie Rautenstrauch war über mehrere Generationen im Handel mit Häuten und Leder wohlhabend geworden. Zur Familie gehörte der Naturwissenschaftler und Weltreisende Wilhelm Joest (1852-1897). Er hinterließ seiner Schwester Adele Rautenstrauch seine Ethnographica-Sammlung, die diese der Stadt Köln im Jahr 1899 schenkte, um sie der Öffentlichkeit und insbesondere auch den Studenten der Handelshochschule zugänglich zu machen. Nach dem Tod ihres Gatten, des Kommerzienrates Eugen Rautenstrauch, stiftete sie zusätzlich das Kapital für den Bau des Völkerkundemuseums am Ubierring. Die Söhne Eugen und Theodor Damian Rautenstrauch konnten schließlich 1906 der Stadt auch das Gebäude des Rautenstrauch-Joest-Museums übergeben.

Ob die Stiftung der Anlaß für Kaiser Wilhelm II. gewesen ist, Rautenstrauch zu adeln, ist nicht ganz klar. Rautenstrauch hatte 1904 ein Rittergut in der Mark Brandenburg gekauft, dessen Besitz die Verleihung des Titels gefördert haben könnte. Die Aufnahme in den Adelsstand entsprach zusätzlich der damaligen Politik der Hohenzollern, das Großbürgertum an die Krone zu binden. Wie auch immer: die Einbindung Rautenstrauchs in dieses Umfeld und sein großes Interesse an Architektur, Kunst oder Musik sind auch in der heutigen Zeit nachvollziehbare Motive für den Bau von Schloss Birlinghoven.

Theodor Damian Rautenstrauch starb am 21. Mai 1907 im Alter von nur 34 Jahren. Sein Bruder Eugen, der den Besitz erbte, nutzte das Schloss noch einige Zeit und verkaufte es 1916 an den Geheimen Kommerzienrat Dr. Louis Hagen. Die notarielle Umschreibung dauerte zwei Jahre und war erst im Jahre 1918 abgeschlossen.

Louis und Emma Hagen

Louis Hagen und seine Frau Emma Hagen, die das Schloss erstmals in seiner Geschichte auch ständig bewohnten, spielten eine besondere Rolle. Louis Hagen war auf Firmenzusammenschlüsse spezialisiert und hatte als verantwortlicher Gesellschafter des Bankhauses A. Levy in Köln und Mitgesellschafter des Bankhauses Oppenheim, als Mitglied von zeitweise sogar 90 Aufsichtsräten sowie als Präsident der Kölner Industrie- und Handelskammer eine Schlüsselstellung in der deutschen Wirtschaft [2]. Er empfing seine Freunde auch in Schloss Birlinghoven, das damit im gesellschaftlichen Leben an Rhein und Ruhr sowie der Weimarer Republik eine Rolle spielte. Die vielen Facetten der Person von Louis Hagen und des Lebens auf Schloss Birlinghoven deutet Frau von Reibnitz-Maltzan, eine wohlinformierte Zeitgenossin, in ihrem Nachruf auf Louis Hagen an: "Wer so viel Geld in guten wie in schlechten Zeiten verdient, darf sich des Lebens freuen. Louis Hagen tat es mit der ganzen Vitalität, die Grundzug seines Wesens war.

Die offiziellen Freuden waren die fürstlichen Geselligkeiten im Kölner Haus und auf einem Landschloß in einem der Seitentäler des Rheins, die inoffiziellen waren schöne Frauen. Louis Hagen war wohl der letzte deutsche Lebemann ganz großen Stils, nicht nur wegen der Summen, die er für Frauen ausgab, sondern auch wegen des Taktes, mit dem es geschah." [3]

Hagen war übrigens nach dem ersten Weltkrieg am Versuch beteiligt, das Rheinland zu einem mindestens währungspolitisch autonomen Staat innerhalb der deutschen Republik zu machen (er befürwortete eine Art vorweggenommene "Montan-Union" mit den industriellen Nachbarländern Frankreich und Belgien, u.a. trat er für eine am Franc angelehnte "Rhein-Mark" ein). Sein politisches Engagement begann er 1909 als liberaler Abgeordneter im Kölner Stadtrat, er war Abgeordneter im Berliner Reichstag. 1919 trat er zur Zentrumspartei über und wurde dort ein enger Vertrauter des Kölner Oberbürgermeisters Konrad Adenauer, der sich als einer der ersten Gäste der neuen Schlossherren am 21. Oktober 1917 (zusammen mit dem Ehepaar Strack, Major Kurt Kaufmann und Dr. Fritz Witte) sowie am 16. Oktober 1922 (zusammen mit seiner zweiten Frau Gussie und wieder Dr. Fritz Witte, der zu dem Zeitpunkt der erste Direktor des Schnütgen-Museums geworden war) im Gästebuch des Schlosses Birlinghoven verewigte.

Emma Hagen starb am 14. Februar 1929, und Louis Hagen folgte ihr am 1. Oktober 1932 nur wenige Jahre später. Nach seinem Tode ging das Schloss an beider Tochter Elisabeth von Wrede über, bewohnt wurde es auch von ihrer Schwester Maria Gräfin Strachwitz (verwitwete von Dobeneck).

Wechselhafte Geschichte

Während des zweiten Weltkrieges war es von der Wehrmacht (u.a. als Genesungslazarett der Heeres-Entlassungsstelle) und nach dem Krieg von den Alliierten beschlagnahmt. In einer umfangreichen Akte des damals zuständigen Amtes Oberpleis findet sich ein Brief des Schlossverwalters Lütz, in dem es um die Beseitigung der von einem Artillerietreffer verursachten leichten Schäden geht. Die Arbeiten mußten auf Anordnung der amerikanischen Militärregierung in aller Eile durchgeführt werden, und Josef Lütz erklärte den für die Bezahlung der Rechnungen zuständigen deutschen Stellen wortreich die dreifach überhöhten Kosten. Die Akte enthält umfangreiche Inventarlisten und einige Bilanzen der Schloßgärtnerei.

Das Schloss blieb bis 1951 beschlagnahmt, es diente zunächst dem amerikanischen Militär-Gouverneur für den Rhein-Sieg-Kreis als Wohnsitz, zwischendurch waren belgische Truppenteile hier untergebracht, und anschließend war es als Offiziers-Club eine Art Aussenstelle der in Porz-Wahn stationierten Royal Air Force. 

1953 gelangte das Anwesen in den Besitz der Kurbetriebs-Gesellschaft in Boppard, deren Sanatoriums-Pläne jedoch nicht funktionierten. 

Die heutige Verwendung als Sitz von Forschungseinrichtungen beginnt 1959, als die Deutsche Shell AG auf dem Gelände in neuen Gebäudekomplexen ihr Institut für Grundlagenforschung errichtete. 

Seit 1968 ist das Schloss im Besitz der Bundesrepublik Deutschland und beherbergt die GMD - Forschungszentrum Informationstechnik GmbH (früher Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung mbH), übergegangen in die Fraunhofer Gesellschaft.

Trotz der relativ kurzen Geschichte des Schlosses lassen sich interessante Fragen nicht beantworten. Vieles ist nicht schriftlich festgehalten worden; das Archiv mit den Bauunterlagen wurde während des Zweiten Weltkrieges vernichtet und Einrichtungen wie die Bibliothek mit wertvollen Beständen wie z.B. einer Diethenberger Bibel von 1534 sind (größtenteils in den Wirren der Kriegs- und Nachkriegszeit) verschwunden. Ausserdem blieben beim Verkauf des Schlosses zahlreiche Sachen in Familienbesitz. Für sich selbst reden vor allem das Bauwerk und die Gemäldesammlung, ansonsten beruhen viele der hier zitierten Berichte auf mündlichen Überlieferungen.

Quellenangaben

  1. Harald Herzog: Rheinische Schloßbauten im 19. Jahrhundert. Landeskonservator Rheinland, Arbeitsheft 37 (Köln 1981)

    Maria Heer: Märchenschloß am Niederrhein zu neuem Leben erweckt. In: Neues Rheinland, Nr. 5/97 (Mai 1997), Seite10-11

  2. Werner E. Mosse: Zwei Präsidenten der Kölner Industrie- und Handelskammer - Louis Hagen und Paul Silverberg. In: Jutta Bohnke-Kollwitz u.a. (Hrsg.); Köln und das rheinische Judentum. Festschrift Germanica Judaica 1959-1984, Köln 1984, Seite 308-340

  3. Werner E. Mosse, a.a.O., Seite 314